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Über das Projekt
TRAILS

Traumatisierte Schüler*innen stellen in der Inklusion eine große Herausforderung dar. Bislang fehlen jedoch evidenzbasierte Handlungskonzepte zur Diagnostik und Förderung in diesem Kontext. Im Rahmen des Forschungsprojekts TRAILS wird ein partizipativ entwickeltes integriertes System aus Methoden zur Trauma sensiblen Diagnostik und Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Fluchthintergrund in inklusiven Schulen (TRAILS-System) implementiert und seine Effektivität evaluiert.

Ausgangslage

Ein psychologisches Trauma resultiert aus Ereignissen und/oder Umständen, die von einer Person als körperlich oder emotional schädlich und möglicherweise lebensbedrohlich erlebt werden und die dauerhaft auf zentrale Funktionsbereiche sowie auf das mentale, physische, soziale, emotionale oder geistige Wohlbefinden wirken (Carter & Blanch, 2019, S. 50). Kinder und Jugendliche, die Krieg und Flucht ausgesetzt sind, zeigen dementsprechend ein erhöhtes Traumatisierungsrisiko (Pine, Costello & Masten, 2005).

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In Deutschland wurden 2019 knapp 166.000 Asylanträge gestellt, davon 50,5% von Kindern und Jugendlichen bis zu 18 Jahren (BAMF, 2019). Die Einreisen erfolgten zumeist aus Krisen- und Kriegsgebieten, so dass bei diesen Kindern und Jugendlichen von einem hohen Traumatisierungsrisiko, bspw. aufgrund von Menschenhandel, krimineller oder sexueller Ausbeutung und kriegerischer Zwangsrekrutierung auszugehen ist (Schröder, Zok & Faulbaum, 2018).

Der negative Einfluss traumatischer Erfahrungen auf die psychische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrung ist gut belegt (Fazel et al., 2012; Liming & Grube, 2018; Pine, Costello & Masten, 2005). Ob traumatisierte Kinder und Jugendliche eine psychische Störung entwickeln, hängt dabei maßgeblich von ihrer individuellen Fähigkeit zur Emotionsregulation sowie der sozialen Unterstützung im Aufnahmeland ab (Demir et al., 2020; Pine, Costello & Masten, 2005). Für derart belastete Kinder und Jugendliche kann die Schule einen traumasensiblen Lebenskontext darstellen, da dort die personalen, sächlichen und sozialen Voraussetzungen zur emotional-sozialen Kompetenzförderung vorliegen und die Schüler*innen durch positive Freundschaften zu Mitschüler*innen oder die wahrgenommene Unterstützung durch die Lehrkraft soziale Unterstützung erfahren (z. B. Casale et al., 2018).

Eine inklusive Schule, die „Etikettierungen und Klassifizierungen [ablehnt], ihren Ausgang von den Rechten vulnerabler und marginalisierter Menschen [nimmt], für deren Partizipation in allen Lebensbereichen [plädiert] und auf strukturelle Veränderungen der regulären Institutionen [zielt], um der Verschiedenheit der Voraussetzungen und Bedürfnisse aller Nutzer/innen gerecht zu werden“ (Biewer, 2009, S.193), birgt dabei besonders großes Potential für belastete Schüler*innen mit Fluchthintergrund, um selbst gewählt und dauerhaft in ein intensives, befriedigendes soziales Miteinander eintreten zu können (vgl. Grosche, 2015).

Mehrstufige Diagnose- und Förderkonzepte (sog. Multi-Tiered Systems of Support; MTSS) stellen vielversprechende Möglichkeit zur Umsetzung eines traumasensiblen Schulkonzeptes in der Inklusion dar und sind in den USA bereits seit Jahren etabliert und positiv erprobt. MTSS sind präventiv ausgerichtet und organisieren Hilfen für Schüler*innen auf verschiedenen Stufen mit zunehmender Intensität und Individualisierung der Methoden (Casale et al., 2018). TRAILS reagiert auf den Umstand, dass in Deutschland bisher keine in der Art konzipierten Methoden zur Diagnostik und Förderung bei traumaspezifischen Verhaltensweisen von Schüler*innen existieren.

Eine solche Verknüpfung von Diagnostik und Förderung könnte die traumasensible Gestaltung einer inklusiven Schule unterstützen, die kognitive Emotionsregulation und soziale Unterstützung der betroffenen Schüler*innen fördern und somit auch der Entstehung psychischer Störungen vorbeugen.

Im aktuellen Beitrag von Casale & Linderkamp (2023): Traumasensible Schule in der Zeitschrift für Heilpädagogik werden die konzeptionellen Grundlagen erfolgreicher traumasensitiver Arbeit in inklusiven Schulen näher erläutert.

Literatur

Biewer, G. (2009). Grundlagen der Heilpädagogik und Inklusiven Pädagogik. Stuttgart: Kohlhammer.

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) (Hrsg.) (2019). Aktuelle Zahlen. Ausgabe: Dezember 2019. https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Statistik/AsylinZahlen/aktuelle-zahlen-dezember-2019.pdf?__blob=publicationFile&v=4. Zugegriffen: 27. Februar 2020.

Carter, P. & Blanch, A. (2019). A Trauma Lens for Systems Change. Stanford Social Innovation Review, 17, S. 48–54

Casale, G., Hövel, D., Hennemann, T. & Hillenbrand, C. (2018). Prävention und schulische Gesundheitsförderung. In B. Röhrle, J. Anding, D. Ebert & H. Christiansen (Hrsg.). Prävention und Gesundheitsförderung Bd. VI. Zur Verbesserung der Wirksamkeit (S.245-285). Tübingen: DGVT-Verlag

Demir, Z., Böge, K., Fan, Y., Hartling, C., Harb, M. R., Hahn, E., Seybold, J. & Bajbouj, M. (2020). The role of emotion regulation as a mediator between early life stress and posttraumatic stress disorder, depression and anxiety in Syrian refugees. Translational Psychiatry, 10, S. 371. https://doi.org/10.1038/s41398-020-01062-3

Fazel, M., Reed, R. V., Panter-Brick, C. & Stein, A. (2012). Mental health of displaced and refugee children resettled in high- income countries: Risk and protective factors. The Lancet, 379, S. 266–282.

Grosche, M. (2015). Was ist Inklusion? Ein Diskussions- und Positionsartikel zur Definition von Inklusion aus Sicht der empirischen Bildungsforschung. In P. Kuhl, P. Stanat, B. Lütje-Klose, C. Gresch, H. A. Pant & M. Prenzel (Hrsg.), Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Schuleistungserhebungen (S. 17–39). Wiesbaden: Springer VS.

Liming, K. W. & Grube, W. A. (2018). Wellbeing outcomes for children exposed to multiple adverse experiences in early childhood: A systematic review. Child & Adolescent Social Work Journal, 35, S. 317–335. https://doi.org/10.1007/s10560-018-0532-x

Pine, D. S., Costello, J. & Masten, A. (2005). Trauma, proximity, and developmental psychopathology: the effects of war and terrorism on children. Neuropsychopharmacology: Official Publication of the American College of Neuropsychopharmacology, 30, S. 1781–1792. https://doi.org/10.1038/sj.npp.1300814

Primäre Zielgruppe dieses Projektes sind Schüler*innen der Jahrgangsstufen 5 bis 8 an inklusiven Haupt-, Real- und Gesamtschulen, die aufgrund von traumatischen Fluchterfahrungen ein erhöhtes Risiko für psychische Störungen aufweisen sowie deren Lehrkräfte und Eltern.
Prof. Dr. Linderkamp

Ziele und Zielgruppe

Ziele
In TRAILS soll ein integriertes und mehrstufiges System zur traumsensitiven Diagnostik und Förderung in inklusiven Schulen (TRAILS-System) bedarfsorientiert und partizipativ unter systematischem Einbezug der Lehrkräfte, Schüler*innen und Eltern entwickelt, implementiert und hinsichtlich der Wirksamkeit evaluiert werden.

Die im Projekt entwickelten Methoden sollen Lehrkräften und Schüler*innen als Open Educational Resource (OER) kostenfrei zur Verfügung gestellt werden.

Zielgruppe
Primäre Zielgruppe dieses Projektes sind Schüler*innen der Jahrgangsstufen 5 bis 8 an inklusiven Haupt-, Real- und Gesamtschulen, die aufgrund von traumatischen Fluchterfahrungen ein erhöhtes Risiko für psychische Störungen aufweisen sowie deren Lehrkräfte und Eltern.

Response-to-Intervention (RTI)

Figure: Three-tiered RTI approach in academic and behavior domains.

Quelle: Grosche, M., & Volpe, R. J. (2013). Response-to-intervention (RTI) as a model to facilitate inclusion for students with learning and behaviour problems. European Journal of Special Needs Education, 28(3), 254-269.

Untersuchungsplanung

Diagnose- und Fördermethoden, die in ihrer Entwicklung von Anfang an die Zielgruppen miteinbeziehen, können von Lehrkräften besser angenommen und dementsprechend besser in die schulische Praxis implementiert werden. Wir erwarten, dass unser partizipativ entwickeltes Fördersystem von Lehrkräften und Schüler*innen positiv wahrgenommen und mit hoher Güte im Schulalltag implementiert wird.

Die in TRAILS entwickelte Beurteilungsskala soll als Screeningverfahren eingesetzt werden. Deren psychometrische Eigenschaften prüfen wir unter Einbeziehung entsprechender und entsprechend umfangreicher Stichproben. Die Verlaufsdiagnostik orientiert sich an der Methode des Direct Behavior Ratings (DBR), dessen Testgüte sich vor allem an der Reliabilität unter verschiedenen Messbedingungen beurteilen lässt. Diese prüfen wir in Generalisierbarkeits- und Zuverlässigkeitsstudien.

Mehr zur Untersuchungsplanung

Die TRAILS-Methoden werden gezielt zur Förderung der Emotionsregulation sowie der sozialen Unterstützung entwickelt. Dementsprechend erwarten wir eine Verbesserung der Emotionsregulation und damit auch einen Effekt auf die psychische Entwicklung der Schüler*innen. Gleichzeitig gehen wir davon aus, dass die TRAILS-Methoden in Schulklassen mit hoher sozialer Unterstützung wirksamer sind.

Die Bedarfe und Vorerfahrungen von Lehrkräften und Eltern in Bezug auf traumasensitive Diagnostik und Förderung werden partizipativ über sequentielle Fokusgruppeninterviews erfasst.

In Einzelinterviews werden zudem die Vorerfahrungen und Bedarfe der Schüler*innen hinsichtlich der traumabezogenen schulischen Hilfen adressiert.

Die psychometrische Validierung und Wirksamkeitsüberprüfung der TRAILS-Methoden erfolgt in einem quasi-experimentellen Warte-Kontrollgruppendesign mit Prä-, Post- und Follow-Up-Messung mit Randomisierung auf Klassenebene.

In dieser Studie prüfen wir a) die psychometrische Qualität der diagnostischen Beurteilungsskalen, b) die Wirksamkeit in Bezug auf die Reduktion psychischer Probleme, c) den Aufbau der kognitiven Emotionsregulation und d) den moderierenden Einfluss der sozialen Unterstützung im Klassenraum.

Fragen

Im Projekt untersuchen wir die folgenden fünf Fragestellungen:

Welche Erfahrungen und Bedarfe bestehen bei Lehrkräften, Schüler*innen & Eltern im Hinblick auf Trauma bezogene Hilfen in der Schule?
Wie gelingt die Implementation des TRAILS-Systems in inklusiven Schulklassen?
Lassen sich Trauma bezogene Verhaltensindikatoren bei den Schüler*innen mit den entwickelten diagnostischen Instrumenten psychometrisch in hoher Güte erfassen?
Lassen sich durch die Umsetzung des TRAILS-System a) fluchtbezogene Traumatisierungssymptome und b) psychische Probleme bei den Schüler*innen reduzieren?
Lässt sich durch die Umsetzung des TRAILS-Systems die kognitive Emotionsregulation bei den Schüler*innen verbessern?
Projektablauf
Phase 01 – Entwicklung und Planung

In einem ersten Schritt werden Bedarfe und Vorerfahrungen von Lehrkräften, Schüler*innen und Eltern in Bezug auf traumasensitive Diagnostik und Förderung partizipativ über sequentielle Fokusgruppen- sowie Einzelinterviews erfasst und für die weiteren Arbeitsphasen genutzt – so auch bei der Konzipierung des Screenings bzw. der Items zur Verlaufsdiagnostik bzgl. Trauma bezogener Verhaltensweisen in der Schule.
Es folgt die Ausgestaltung des Förderkonzepts sowie die Entwicklung der Fördermaterialien unter Beteiligung von Lehrkräften (Regelschullehrkraft, Lehrkraft für sonderpädagogische Förderung) und unserer US-amerikanischen Critical Friends von der University of Massachusetts, Amherst, USA.
Parallel wurde diese Website entwickelt, um die Akquise der Schulen zu unterstützen sowie als Informations- und Kommunikationsplattform und zum Austausch von Materialien genutzt zu werden. Am Ende des Forschungsprojekt werden die Materialien als OER auf der Website kostenlos zur weiteren Nutzung zur Verfügung gestellt.

Phase 02 – Implementierung und Evaluierung

Hier erfolgt eine erste Datenerhebung zur Erfassung Kind bezogener Trauma spezifischer Verhaltensprobleme im Unterricht, Fertigkeiten im Bereich kognitiver Emotionsregulation und des Klassenklimas
Zudem finden im letzten Quartal 2023 die Fortbildungen der Lehrkräfte statt. Die Förderung der Kinder beginnt nach den Herbstferien im Schuljahr 2023/2024 über einen Zeitraum von zehn Wochen. Die Lehrkräfte erhalten ein begleitendes Coaching durch eine professionelle Trauma-Pädagogin.
Parallel und danach erfolgen Datenerhebungen zur Erfassung der Implementationsgüte und zur praktischen Nützlichkeit der diagnostischen Verfahren und der Fördermethoden – ergänzt durch eine Follow-Up-Erhebung im Mai/Juni 2024.

Phase 03 – Transfer und Dissemination

Schließlich werden die Ergebnisse des Forschungsprojekts öffentlich zugänglich gemacht. Dies erfolgt in nationalen wie internationalen wissenschaftlichen Tagungen und über Publikationen der Forschungsergebnisse in Fachzeitschriften.
Ausgehend von den Ergebnissen werden die Methoden zur Diagnostik und Förderung überarbeitet und für die Website so aufbereitet, dass sie öffentlich zugänglich interessierten Anwender*innen als Open Educational Resource (OER) zur Verfügung stehen.

Förderhinweis
Rahmenprogramm empirische Bildungsforschung
Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung

Dieses Projekt wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter den Förderkennzeichen 01NV2128 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Homepage liegt bei den Autoren*innen.

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